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XXII. JungslavistInnen-Treffen 2013 in München

Linguistische Beiträge zur Slavistik: XXII. JungslavistInnen-Treffen in München, 12.–14. September 2013. Hg. Alena Bazhutkina und Barbara Sonnenhauser. Leipzig: Biblion Media 2016 (Specimina Philologiae Slavicae, 187). 175 Seiten. ISBN: 978-3-86688-588-2 (Bestellnummer: 3187; eBook: 3187e).

Gehaltene Vorträge

Name Titel Seite
Barbara Sonnenhauser und Alena Bazhutkina Tagungsbericht
Barbara Sonnenhauser und Alena Bazhutkina Vorwort 5
Alena Bazhutkina Die Taraškevica und ihre normbildende Funktion in der belarussischen Sprache
[Vortragstitel: Das Belarussische: eine Sprache mit zwei Standards?]
9–36
Sabine Borovanská Die unerträgliche Leichtigkeit der Entschuldigung. Sprachvergleichende Studien zur Entschuldigung unter besonderer Berücksichtigung des Russischen und Tschechischen
Natalia Brüggemann Herkunftssprache Russisch: Unvollständige Grammatik als Folge mündlichen Spracherwerbs 37–58
Daniel Bunčić Porabisch = Prekmurisch? Fragen der Kontinuität einer ›Mikroliteratursprache‹
Christina Clasmeier Verbale Affixe und Aspektkorrelationen. Eine Untersuchung an Hand »russischer« Pseudo-Verben
Dagmar Heeg Das obersorbiche Verb dyrbjeć und das alttschechische drbiti
Roswitha Kersten-Pejanić Antisexistischer Sprachgebrauch als politisches Aktionsfeld in Zeiten der EU-Annäherung: Das Beispiel Kroatien
[Vortragstitel: Antisexistischer Sprachgebrauch: (K)Ein Thema für die EU-Beitrittsverhandlungen? Das Beispiel Kroatien]
59–81
Joanna Leszkowicz Diskontinuierliche Konstituenten im Polnischen
Anastasia Meermann & Barbara Sonnenhauser Das Perfekt im Serbischen zwischen slavischer und balkanslavischer Entwicklung
[Vortragstitel: Perfektvariation im Serbischen zwischen slavischer und balkanischer Entwicklung]
83–110
Dionisi Nikolov Strategien der Selbstdarstellung russischer Unternehmen auf ihren Webseiten
Hagen Pitsch Formen mit Bedeutung: Variationen in russischen Kopulasätzen 111–134
Simone Rajilić Gegendiskurse zu feministischer Sprachkritik in serbischen digitalen Kommunikationsforen
[Vortragstitel: Strategien der Ablehnung feministischer Sprachkritik in serbischen Internetforen]
135–157
Marina Scharlaj Язык мой — враг? Russlands digitale Szenen und der Kampf um die Orthographie
[Vortragstitel: Digitale Schreibszenen – Antinorm und Grammar-Nazi]
159–175

Tagungsbericht von Barbara Sonnenhauser und Alena Bazhutkina

Vom 12. bis 14. September 2013 fand am Institut für Slavische Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität München das 22. JungslavistInnen-Treffen statt. In 13 Beiträgen wurden aktuelle Arbeiten zur slavistischen Linguistik aus den Bereichen Syntax, Semantik, Pragmatik, Sprachwandel, Soziolinguistik, Gender- linguistik, Psycholinguistik und Kulturwissenschaft vorgestellt.

Alena Bazhutkina (München) betrachtete in ihrem Vortrag »Das Belarussische: eine Sprache mit zwei Standards?« die zwei sprachlichen Traditionen, die in Belarus seit Ende des 20. Jh. konkurrieren (Taraškevica und Narkamaŭka). Zahlreiche metasprachliche Debatten in Internetforen zeugen davon, dass sich die beiden Traditionen vor allem auf der politisch-ideologischen Ebene gegenüberstehen. Im Sprachgebrauch dagegen nähern sie sich an.

Sabine Borovanská (Frankfurt am Main/Dresden) beschäftigte sich in »Die unerträgliche Leichtigkeit der Entschuldigung. Sprachvergleichende Studien zur Entschuldigung unter besonderer Berücksichtigung des Russischen und Tschechischen« mit Entschuldigungen. Diese sind dank ihres formelhaften Charakters leicht in Texten aufzufinden und werden, gerade im öffentlich-politischen Kontext, fast inflationär gebraucht. Weniger leicht ist es jedoch, sie genau zu bestimmen. Sprachvergleichende Studien zeigen, dass das jeweilige Entschuldigungskonzept häufig auf die konkrete Realisierung in der Einzelsprache zurückzuführen ist. Ein etwas weiterer Blick unter Einbeziehung der Rechtfertigung erweist sich hier als sehr hilfreich.

Natalia Brüggemann (Regensburg) setzte sich in ihrem Vortrag »Herkunftssprache Russisch« mit der Beschaffenheit der russischen Herkunftssprache auseinander. Im Fokus standen die Phänomene des mündlichen und des unvollständigen Spracherwerbs und ihre Auswirkungen auf den Schrifterwerb. Dabei wurden eine Longitudinal-Studie mit 38 Herkunftssprechern und erste Beobachtungen vorgestellt.

Daniel Bunčić (Tübingen/Köln) berichtete in seinem Vortrag »Porabisch = Prekmurisch? Fragen der Kontinuität einer ›Mikroliteratursprache‹« über das Prekmurische, eine Standardvarietät des Slovenischen, die bis ins 20. Jh. im ehemals ungarischen Teil Sloveniens gesprochen wurde, und über das Porabische, das heute von einer kleinen slovenischen Minderheit in Ungarn auch schriftlich benutzt wird, womit im Porabje die prekmurische Tradition fortgesetzt werde.

Christina Clasmeier (Bochum) stellte in »Verbale Affixe und Aspektkorrelationen – Eine Untersuchung an Hand ›russischer‹ Pseudoverben« ein psycholinguistisches Experiment vor, in dessen Rahmen Russischsprecher/innen Pseudoverben (z. B. *zurat’) auf Grundlage ihrer Intuition als pf oder ipf klassifizieren und ihnen angemessene Pseudoaspektpartner zur Seite stellen sollten. Die zumeist plausiblen Antworten deuten darauf hin, dass die Proband/innen über implizites, von konkreten Lemmata unabhängiges Wissen zu den formalen Eigenschaften von Aspektpaaren verfügen und dieses problemlos auf Pseudoverben anwenden können.

Dagmar Heeg (Salzburg) betrachtete in ihrem Vortrag »Das obersorbische Verb dyrbjeć und das alttschechische drbiti« die Semantik dieser Verben, die beide Entlehnungen aus dem Deutschen (heute ›dürfen‹) sind. Während aber dyrbjeć im modernen Obersorbischen den primären und hoch frequentierten Ausdruck der Bedeutung ‘Notwendigkeit’ darstellt, ist drbiti nur an 12 Stellen in den alttschechischen Texten belegt und dann aus der tschechischen Sprache verschwunden.

Roswitha Kersten-Pejanić (Berlin) fragte in ihrem Beitrag »Antisexistischer Sprachgebrauch: (K)Ein Thema für die EU-Beitrittsverhandlungen? Das Beispiel Kroatien« nach dem Zusammenhang von gendergerechtem öffentlichen Sprachgebrauch in Kroatien und dem EU-Beitritt. Neben der aktuellen sprach- und genderpolitischen Sachlage in Brüssel und Zagreb deuten vor allem auch diskursanalytische Betrachtungen auf einen – zumindest normativen – Einfluss der EU auf die Genderlinguistik vor Ort hin.

Joanna Leszkowicz (Berlin) beschäftigte sich in ihrem Vortrag »Diskontinuierliche Konstituenten im Polnischen« mit der Frage, wo sich der Landeplatz für aufgespaltene Konstituenten befindet und welche Bewegungsoperationen, falls notwendig, bei solchen Aufspaltungen stattfinden. Im Rahmen einer Diskussion unterschiedlicher Positionen argumentierte sie für die Annahme von Bewegungsoperationen und setzte sich mit möglichen syntaktischen Beschränkungen für diskontinuierliche Konstituenten auseinander.

Anastasia Meermann (München) und Barbara Sonnenhauser (Wien) gingen in ihrem Vortrag »Perfektvariation im Serbischen zwischen slavischer und balkanischer Entwicklung« der Frage nach, ob die Auxiliarvariation bei der serbischen l-Periphrase als Teil der gesamtslavischen Entwicklung anzusehen ist oder dem balkanischen Einfluss entsprechend funktional interpretiert wird. Eine erste Analyse deutet an, dass die Auslassung des Auxiliars in der gesprochenen Umgangssprache sowie in ostserbischen Dialekttexten semantisch motiviert ist. Im Unterschied zur Umgangssprache jedoch scheint in den ostserbischen Dialekten die Periphrase mit Auxiliar nicht für Ereignisabfolgen verwendet zu werden.

Dionisi Nikolov (Wien) setzte sich in seinem Beitrag »Strategien der Selbstdarstellung russischer Unternehmen auf ihren Webseiten« mit den Ethik- und Verhaltenskodizes einiger großer russischer Unternehmen auseinander, die auf der jeweiligen korporativen Webseite vor allem zum Zwecke der positiven unternehmerischen Selbstdarstellung präsentiert werden. Nachdem zunächst formale Merkmale (Platzierung, Umfang, visueller Modus etc.) der untersuchten Dokumente dargestellt wurden, stand im Fokus der sprachlichen Analyse die Realisierung der ›Verbindlichkeit‹ der in den Kodizes kommunizierten Standards und Regeln für korporatives, kollektives und individuelles Handeln, wobei dem Konzept ›Pflicht‹ besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Hagen Pitsch (Göttingen) skizzierte in seinem Vortrag »Formen mit Bedeutung: Variationen in russischen Kopulasätzen« eine formbasierte Analyse der Lesarten, die im Zusammenhang mit den variierenden Markierungen russischer Prädikatsnomina vorliegen. Sie werden weder auf eine semantische noch auf eine syntaktische Invariante zurückgeführt, sondern auf das bloße Vorhandensein möglicher Form-Oppositionen, die im Sprachsystem zur Erlangung bestimmter interpretativer Effekte ausgenutzt werden. In einer Zwei-Ebenen-Semantik werden die Variationen somit nicht auf grammatischer, sondern auf konzeptueller Ebene verortet.

Simone Rajilić (Berlin) überprüfte in »Strategien der Ablehnung feministischer Sprachkritik in serbischen Internetforen«, ob die von Marlis Hellinger für das Englische und Deutsche formulierten Ablehnungsstrategien gegen nicht-sexistischen Sprachgebrauch (Leugnen, Beschwichtigen, Ignorieren, Warnen, Herabsetzen, Lächerlich machen) auch für Serbien Gültigkeit haben. In serbischen Internetdiskussionen wird vor allem über die Strategien ›Leugnen‹, ›Herabsetzen‹ und ›Lächerlich machen‹ Position gegen feministische Sprachveränderungsvorschläge bezogen. Es konnten zudem zwei serbienspezifische Motive für die Ablehnung feministischer Sprachkritik herausgestellt werden, die über die Strategien von Hellinger hinausgehen, nämlich Nationalismus und Antieuropäismus.

Marina Scharlaj (Dresden) stellte in ihrem Vortrag »Digitale Schreibszenen – Antinorm und Grammar-Nazi« mit Bezug auf Aspekte der Karnevalskultur zwei markante Beispiele der russischsprachigen Internetkommunikation vor: die auffälligen Formen der Sprachverzerrungen der Padonki-Szene, die auf bewussten Regelverletzungen des Russischen basieren, und die Szene der Grammar-Nazi, die mit ihren krassen Bildern im RuNet Sprachfehler verfolgt und verbal vernichtet.

Barbara Sonnenhauser und Alena Bazhutkina: 22. JungslavistInnen-Treffen (München, 12.–14.09.2013). Zeitschrift für Slawistik 59 (2014) 1, 109–112.
doi:10.1515/slaw-2014-0007

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