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XI. JungslavistInnen-Treffen 2002 in Cambridge

Linguistische Beiträge zur Slavistik. XI. JungslavistInnen-Treffen Cambridge 2002. Hg. Björn Hansen. München: Sagner 2004 (= Specimina Philologiae Slavicae 140). 183 Seiten. ISBN 3-87690-890-6.

Name Titel Seite
Björn Hansen Vorwort 5
Erklärung der JungslavistInnen zur Situation in der Slavistik
Björn Hansen Tagungsbericht
Thomas Daiber Aoristische Reste im modernen Russischen 9–30
Björn Hansen Eine korpuslinguistische Studie zum Gebrauch der Adjektivdeklination im Bosnischen/Serbischen/Kroatischen 31–44
Edgar Hoffmann Kulturelle Schlüsselkonzepte 45–71
Holger Kuße Die Repräsentation der Repräsentation: M. V. Lomonosovs universale Rhetorik 73–89
Anke Levin-Steinmann Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Grammatikalisierung und Phraseologisierung 91–111
Andrea Scheller Wege zu Wörtern: Zu theoretischen und praktischen Problemen der Lexikographie am Beispiel der Darstellung von Funktionswörtern 113–128
Franz Schindler Linguistische Anmerkungen zur Inhaltsanalyse von Kontaktanzeigen 129–142
Luka Szucsich Argumentstrukturen und deren syntaktische Abbildung: Psych-Verben im Russischen 143–159
Monika Wingender Die Sprachsituation in Tatarstan in Geschichte und Gegenwart 161–181

Erklärung der JungslavistInnen zur Situation in der Slavistik

Bei ihrem Treffen in Cambridge haben die JungslavistInnen ein Memorandum zu den hochschulpolitischen Maßnahmen der jüngeren Zeit verfasst.

Die Mitglieder des Slavistenverbands (damals Verband der Hochschullehrer für Slavistik an den Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland, VHS) unterstützen die Erklärung der JungslavistInnen.

Informieren Sie sich auch bei der Initiative OsteuropaStudierender.

Tagungsbericht von Björn Hansen

Das JungslavistInnen-Treffen fand vom 19. bis 22.09.2002 das erste Mal in Cambridge, Großbritannien, statt. Abgehalten wurde die Konferenz in den Räumlichkeiten des Selwyn-College, eines der über dreißig Colleges der University of Cambridge. Björn Hansen, der zu diesem Treffen eingeladen hatte, war bis Oktober 2002 am dortigen Department of Slavonic Studies als ‘Lecturer in Slavonic Linguistics and Philology’ beschäftigt.

Die JungslavistInnen sind ein fester Arbeitskreis von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem Bereich der slavistischen Linguistik, die sich seit nunmehr zehn Jahren jährlich ein Mal treffen, um ihre aktuellen Forschungsarbeiten vorzustellen und zu diskutieren. Die TeilnehmerInnen des Kreises stammen mehrheitlich aus dem deutschsprachigen Raum, auf dem XI. JungslavistInnen-Treffen sind jedoch zusätzlich neue Wissenschaftler aus Großbritannien hinzugestoßen, wodurch die JungslavistInnen eine stärkere internationale Ausrichtung erhalten.

Wie auf den vorhergehenden Konferenzen wurden auch dieses Mal sehr viele verschiedene Themen aus der slavistischen Linguistik behandelt. Die Bandbreite reichte von der formalen Syntax über die Textlinguistik zur Sprachpolitik. Im Vergleich zu den vorigen Treffen war ein zunehmendes Interesse an formaler Syntax zu verzeichnen. Im Folgenden möchte ich kurz die gehaltenen Vorträge vorstellen. Beginnen wir mit den Beiträgen aus der Syntax.

Roland Meyer (Leipzig) stellte in seinem Beitrag »Eine satzinterne Fokusposition in slavischen Sprachen?« Evidenz für und wider feste Stellungsregeln für fokussierte Einheiten im russischen Satz dar. Dabei ging er insbesondere auf den Zusammenhang mit grammatikalisierten Wortfolgegesetzen in li-Entscheidungsfragen und Ergänzungsfragen ein.

Luka Szucsich’s Beitrag (Leipzig) trug den Titel »Argumentstrukturen und deren syntaktische Abbildung«. Am Russischen wurde untersucht, wie sich Informationen zur Argumentstruktur von Verben auf die syntaktische Abbildung der VP auswirken. Bei der Analyse spielt die Kategorie der Kausalität, deren syntaktisches Korrelat und Auswirkungen auf aspektuelle Eigenschaften der Sachverhalte eine zentrale Rolle.

In seinem Beitrag »Zu den Formen der Personalpronomina des Tschechischen« stellte Uwe Junghanns (ebenfalls Leipzig) eine detaillierte Übersicht über die Formen zusammen und diskutierte grammatische und stilistische Besonderheiten sowie Veränderungen in der Normierung und im Gebrauch. Er widmete sich außerdem der Frage, welchen Status die einzelnen Formen haben, und zeigte, dass die Mehrzahl nicht als lexikalische Klitika (vgl. Junghanns 2002, i. Dr.) gelten können. Das ist von Relevanz für die explizite Beschreibung der Struktur des tschechischen Satzes: Die meisten Formen verhalten sich prinzipiell volle Nominalausdrücke, während lexikalische Klitika spezifische syntaktische und phonologische Erklärungsmuster brauchen.

Horst Dippong aus Hamburg machte sich auf die »Suche nach dem syntaktischen Urmeter«. Dippong stellte anhand von serbischem/kroatischem Material ein Verfahren vor, das syntaktische Komplexität quantitativ erfassbar macht. Als Komplexitätsstifter in seinem oberflächensyntaktischen Modell identifizierte er die Anzahl der Nebenordnungen, die Anzahl der Unterordnungen, die syntaktische Tiefe, die Länge und die Anzahl der Lexeme.

Jan Fellerer (Oxford) sprach über »VP-Ellipse im Polnischen«. Das Referat stellt eine teilweise neue, syntaktisch begründete Unterscheidung von drei Ellipsentypen im Polnischen vor. Folgende Konstituenten können nicht oder nicht overt realisiert sein: a.) die gesamte IP, b.) die finite Verbalform (I), c.) verschiedene Komplemente des Verbs. Während a.) und b.) im Polnischen im Prinzip zulässig sind, ist c.) nur dann möglich, wenn das ausgelassene Komplement ›kovert‹ vorhanden, also syntaktisch aktiv ist. Im Polnischen trifft dies für sog. VP-Ellipsen, nicht aber für Null-Objekte und sog. Pseudo-Lücken zu.

Als letzter Beitrag zur Beschreibung syntaktischer Strukturen sei der Vortrag von David Willis (Cambridge) genannt. Er sprach zum slavischen Konditional, wobei er sich auf das Verhalten des Konditionals im Altkirchenslavischen und Altrussischen mit besonderer Berücksichtigung von Wortstellungsregularitäten konzentrierte. Er lieferte eine syntaktische Beschreibung der Reanalyse des Konditionalauxiliars in einen klitischen Modusmarker.

Einen weiteren Schwerpunkt der Tagung bildeten Aspekte des Sprachwandels. So befasste sich Björn Hansen (Cambridge/Regensburg) mit dynamischen Aspekten der Adjektivdeklination im Serbischen/Kroatischen und im Russischen. In dem Vortrag wurde das Verhältnis dieser morphologischen Kategorie zur Definitheit und zur Referenz der Substantive näher beleuchtet. Auf der Basis einer korpuslinguistischen Analyse wurde für das Serbische/Kroatische ein faktorenbasiertes Modell vorgestellt.

Anke Levin-Steinmann (Leipzig) unternahm in ihrem Beitrag den Versuch, am Beispiel von Evidential- und Temporalausdrücken eine Schnittstelle zwischen den Prozessen der Grammatikalisierung und Phraseologisierung herauszuarbeiten. Sie plädierte dafür, dass eine solche Schnittstelle der kognitive Mechanismus der Reanalyse darstellt, der sich von den Mechanismen der Metaphorisierung bzw. Metonymisierung, die in der Literatur als die entsprechenden Bildungsprozesse angeführt werden, in ganz bestimmten Punkten unterscheidet. Gewisse produktive Verbformen des Russischen zur Denotierung »ultramomentaner« Verbalbedeutung werden morphosyntaktisch und funktional zweifelhaft als »transponierte Imperative« und/oder »Verbalinterjektionen« klassifiziert.

Thomas Daiber aus Halle wies in seinem Beitrag »Funktionale Reste des Aoristes im modernen Russischen« nochmals auf die diachrone Erklärung hin, gab aber auch den Ort dieser Formen im heutigen russischen Aspektsystem an und versuchte zu erklären, wie die auch teilweise gegebene konjunktivische Bedeutung zustande kommen konnte.

Es gab auch einige Beiträge zur synchronen Beschreibung semantischer und morphologischer Strukturen. So beschäftigte sich Tanja Anstatt (Tübingen) mit der Anwendbarkeit der progressiven Funktion (bzw. der konkret ablaufenden Bedeutung) des imperfektiven Aspektes bei verschiedenen polysemen russischen Verben. Auf der Basis einer umfangreicheren Informandenbefragung konnte gezeigt werden, dass die Progredierbarkeit ein Kontinuum bildet, aufgrund von leichten Uminterpretationen auch bei punktuellen Verblexemen zulässig ist und am ehesten an die Vorstellbarkeit der Ausführung der denotierten Handlung geknüpft ist.

Andrea Schellers (Magdeburg) Beitrag »Theorie und Praxis der Lexikographie« suchte nach Wegen der Verbindung von lexikologischer Forschung und lexikographischer Praxis. Insbesondere zielte er auf eine adäquate Darstellung einer allgemein als heikel geltenden Gruppe von Lexemen, den Partikeln.

Ljudmila Geist (Berlin) untersuchte prädizierende Kopulasätze wie Sergej — muzykant po professii und Identitätssätze wie Venera — ėto Gesper. Sie argumentiert gegen die verbreitete Annahme einer speziellen Identitätskopula byt’ und behauptet, dass in Identitätssätzen und in prädizierenden Sätzen dieselbe Kopula der Prädikation vorliegt. Die Bedeutung der Identität wird dabei durch das Pronomen ėto ausgedrückt.

Unter dem Titel »Narration und prosodische Deixis« diskutierte Marion Krause (Bochum) das Wechselspiel deiktischer Bezugsebenen in den natürlichen Erzählungen naiver SprecherInnen, die einer oral geprägten Kommunikationskultur verpflichtet sind. Es wurde argumentiert, dass der deiktische Wechsel durch sprachliche Mittel mit verifikativer Funktion angezeigt wird. Neben Partikeln mit bestätigender, z. T. deiktischer Semantik und ihrer prosodischen Absetzung im Erzählfluss spielt dabei auch der Verumakzent eine Rolle. Verifikationen markieren die im Hier und Jetzt der aktuellen Sprechsituation lokalisierte Außensicht der Sprecherin auf das dargestellte oder erzählte Geschehen; sie situieren gewissermaßen einen internen Dialog, der die deiktischen Ebenen verbindet.

Ursula Doleschal (Klagenfurt) ging in ihrem Vortrag auf die Interaktion der phonologischen, graphemischen und morphologischen Ebene bei der Integration von substantivischenFremdwörtern im Russischen, Tschechischen und Polnischen ein. Diese drei Ebenen funktionieren zwar meist unabhängig voneinander, d. h., weder setzt graphische phonologische Integration voraus, noch morphologische graphische und umgekehrt, aber in einigen Fällen kann die fehlende graphische Integration die morphologische und phonologische Integration behindern.

Franz Schindler (Frankfurt/M.) stellte ein detailliert ausgearbeitetes Kategoriensystem zur Inhaltsanalyse von Kontaktanzeigen vor, das in den Sozialwissenschaften bereits zur Anwendung gekommen ist. Zur quantitativen – und darauf aufbauend zur qualitativen – Analyse ist es notwendig, dass der Text möglichst umfassend und eindeutig Kategorien zugeordnet wird. An Fallbeispielen wurden aus linguistischer Perspektive Probleme der Methode veranschaulicht und Vorschläge für deren Lösung diskutiert. Der breite Kreis an Themen, die auf der Tagung vertreten waren, wird abgerundet durch die Beiträge zu geistesgeschichtlichen, kulturwissenschaftlichen bzw. sprachpolitischen Fragen.

Holger Kuße (Frankfurt/M.) widmete sich der universalen Rhetorikkonzeption M. V. Lomonosovs, die für jeden beliebigen Redegegenstand sachadäquate und überzeugende Darstellungsformen enthalten sollte. Die Konzeption folgt dem in Anlehnung an Foucault repräsentationalistisch genannten Grundgedanken des Rationalismus, dass Gegenstände und Sachverhalte in eindeutigen mentalen Repräsentationen zugänglich werden, die ihrerseits sprachlich repräsentiert werden. In der in der Grammatika vollzogenen Differenzierung des Begriffs des Begriffs als ideja und ponjatie, von denen nur letzteres sprachgebunden auftreten kann, deutet sich zwar bereits eine Auflösung des Repräsentationsgedankens an, besonders die beiden Rhetoriken bringen ihn jedoch in klarer Form zum Ausdruck. Die verschiedenen Darstellungsformen von Gedanken: syllogistisch oder poetisch assoziativ, stellen Repräsentationen der sprachlichen Repräsentationen von gedanklichen Inhalten dar, die Gegenstände oder Sachverhalte repräsentieren. Diese Kette der Repräsentationen von Repräsentationen ist grundsätzlich infinit. In der Grammatika überträgt Lomonosov die Konzeption auf die Darstellung grammatischer Kategorien (insbes. Tempus und Person).

Edgar Hoffmann (WU Wien) stellte kulturelle Schlüsselkonzepte in ihrer Relevanz für Werbung und Werbesprache in Russland vor. Wichtige Momente der Produktion und Rezeption von Werbung sind in kulturellen Schlüsselkonzepten strukturiert. Dabei geht es vordergründig nicht um Konzepte als mentale Organisationseinheiten oder gar Bestandteile von Weltbildern, sondern um Konzepte als zentraler Kategorie der Identitätskonstruktion im Diskurs. Eingebettet in einen diskursanalytischen Rahmen, der auch globale Prozesse in Werbung und Kultur berücksichtigt, wird die Dynamik von Konzepten rund um Identität mit Kultur- und Sprachwandel in Verbindung gebracht.

Monika Wingender aus Gießen sprach über »Sprachpolitik in Russland – zur Situation in Tartastan«. Die aktuelle Sprachsituation in Tartastan ist durch asymmetrische Zweisprachigkeit gekennzeichnet. Seit dem Zerfall der UdSSR sind in Tartastan intensive Bemühungen erkennbar, die aus der jahrzehntelangen sowjetischen Sprachpolitik herrührenden Autonomiedefizite des Tatarischen zu beheben und die asymmetrische Zweisprachigkeit in eine symmetrische zu verwandeln. In diesem Vortrag werden die Aktivitäten der Sprachpolitik und die Einstellungen der tatarischen und russischen Bevölkerung Tartastans zu den verschiedenen sprachpolitischen Maßnahmen untersucht.

Wie in den Jahren zuvor werden die Beiträge auch dieses JungslavistInnen-Treffens in einem Sammelband publiziert. Dieser von Björn Hansen herauszugebende Band wird voraussichtlich Ende 2003 als Supplementband der Reihe Specimina Philologiae Slavicae erscheinen.

Die Inhaltsverzeichnisse der vorigen Bände und weitere Informationen zu den JungslavistInnen finden sich auf der von Thomas Daiber eingerichteten Homepage des Kreises: http://mlucom6.urz.uni-halle.de/~a0apv/jusla/

Die nächste Konferenz findet im Herbst 2003 auf Einladung von Monika Wingender an der Universität Gießen statt.

Zeitschrift für Slawistik 49 (2004) 1, 103–106

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